Wer kennt das patriarchalische Frauenbild nicht? Frauen, deren Lebensinhalt die Küche und ihr Kleiderschrank zu sein hat und deren Freiheit vollkommen dem Mann unterliegt. Instinktiv würden wir sagen, dass wenn nicht alle Menschen, dann doch die meisten sich von diesem Bild entfernt haben, zugewandt zu einer offeneren, selbstbestimmten und toleranten Gesellschaft. Doch dies ist leider noch nicht überall der Fall.

Ein Land, in welchem sich das Frauenbild nicht vollkommen modernisiert hat, ist Russland. 54% der Russinnen und Russen finden laut dem Umfrageinstitut Lewada, dass der Mann das Geld verdienen und die Frau sich um Haushalt und Familie kümmern sollte. Und nein, diese Zahl stammt nicht aus den 1980er Jahren, sondern aus 2017! Kaum vorstellbar in einem Land, dass doch gerade in seiner Vergangenheit schon früh Frauen als gleichberechtigt wahrnahm und weltweit Vorreiter der Emanzipation der Frau war.

In der Sowjetunion kämpften Frauen im Krieg, flogen als weltweit erstes ins Weltall, und waren die weltweit ersten Diplomatinnen, Ministerinnen und weibliche Kabinettsmitgliederinnen. Frauen in höheren Positionen, MINT-Berufen, oder Kunst und Kultur waren absolut allgegenwärtig und eine Normalität in der sowjetischen Gesellschaft.

Sowjetische Frauen konnten darüber hinaus auch kostenlos abtreiben, was jedoch Segen und Fluch zugleich war: Drei bis vier Abtreibungen hatte jede von ihnen in ihrem Leben auszustehen, nicht, weil sie so praktisch waren, sondern weil es keine Verhütungsmittel gab. Als in den 80ern die Pille auftauchte, nahmen Frauenärzte eher Abtreibungen hin, als die Pille zu verschreiben, die sie als zu risikoreich fanden.

Insgesamt war somit auch in der Sowjetunion nicht alles perfekt und doch war es eines der progressivsten Länder der Welt in Bezug auf sein Frauenbild. Was war bis 2017 passiert?

Mit dem Ende der Sowjetunion, fand auch eine kulturelle und gesellschaftliche Revolution in Russland statt. Durch den Wegfall der Partei und allen damit einhergehenden Strukturen wurde auch das gesellschaftliche, religiöse und kulturelle Verständnis der Geschlechterrollen neu definiert.

Diese Neudefinition verlief primär konservativ.
Innerhalb von nur einer Generation sank der Frauenanteil im russischen Parlament von 30% auf 13%. Ehemals gesetzlich vorgeschriebene Frauenquoten, wie sie es vorher in der Sowjetunion gab, wurden abgeschafft. Auch wenn es nach wie vor selbstverständlich ist, dass es Ingenieurinnen und Mathematikerinnen gibt, dass Frauen genauso gut oder besser ausgebildet sind als Männer und mehr Frauen in den Chefetagen sitzen als in Deutschland, siegt trotzdem auch unter den russischen Frauen selbst das archaische Frauenbild über das emanzipatorische.

Die Weiblichkeit, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion exzessiv zelebriert wurde, wird überbetont. Frauen fokussieren sich auf ihre Familien, wählen, wie auch weltweit beobachtet, eher Männer als Frauen in politische Ämter und Feminismus verliert an Unterstützung. Dabei gibt es unzählige Missstände für die Frauen in Russland sich einsetzen sollten und von denen sie direkt betroffen sind.

456 Berufe in Russland sind noch heute für Frauen verboten. Jährlich sterben tausende Frauen an den Folgen häuslicher Gewalt. Wie groß das Ausmaß häuslicher Gewalt tatsächlich ist, lässt sich in Russland kaum feststellen. Verlässliche Statistiken gibt es so gut wie keine. Oft kursiert die Zahl von etwa 14.000 Morden jährlich an Frauen durch Ehepartner.

2017 wurde ein Gesetz verabschiedet, das Schläge unter Ehepartnern nicht als Straftat sondern als Ordnungswidrigkeit definiert. Tätern droht eine Strafe von knapp 550 Euro. Eine Maßnahme, die von Experten als kontraproduktiv betrachtet wird, weil die Summe, wenn es überhaupt zu einer Bestrafung kommt, oft aus dem gemeinsamen Familienbudget bezahlt werden muss und somit auch die Opfer mit bestraft. Die sogenannte Dekriminalisierung von häuslicher Gewalt führt nach Ansicht von Hilfsorganisationen dazu, dass nicht nur Angriffe zunehmen, sondern auch die Polizei noch weniger unternimmt.

Nach Angaben der Organisation „Anna“, die Frauen in Notsituationen hilft, waren im vergangenen Jahr 95 Prozent der Gewaltopfer unzufrieden mit der Arbeit der Polizei.
Russland und das Frauenbild bleibt somit ein Rätsel. Ein Rätsel, dass in der Dunkelheit schlägt und dessen Opfer nirgendwo erscheinen. Ein Rätsel das gelöst werden muss von mutigen und selbstbestimmten Frauen und Männern in Russland!

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Valentina Tereschkowa (83 Jahre alt) war im Jahre 1963 die erste Frau im Weltraum und ist immer noch die einzige Frau in der Raumfluggeschichte, die allein flog, d. h. ohne Begleitung männlicher Kollegen.

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