„Oh, es geht um diesen Bereich Ihres Körpers? Also damit fühle ich mich nicht wohl! „

Beim Lesen dieser Aussage denken Sie nun wahrscheinlich, dass der Arzt mit dem ich sprach, sich auf meine Füße oder sonstige unattraktive Körperteile, bezog. Aber nein; Herr Doktor bezieht sich hier auf meine Vagina!

Mit meinem Umzug in die Niederlande, erwartete ich soweit keine großen Veränderungen in Bezug auf Kultur, Lebensstandard oder des Gesundheitssystems. Denn immerhin zog ich bloß 4 Stunden von zuhause weg. Natürlich bemerkte ich schnell, dass es Unterschiede gab, aber meinen dramatischen Wechsel von deutschem Graubrot zu weichem, niederländischem Weißbrot würde ich nicht als Kulturschock bezeichnen.

Das erstes Mal, dass ich tatsächlich dachte: „Okay, das läuft hier anders ab“, war als es für mich Zeit war meinen alljährigen Besuch zum Gynäkologen zu machen. Einerseits um ein neues Rezept für meine Verhütung zu bekommen und andererseits um meine jährliche Untersuchung, meinen „Check-up“ hinter mich zu bringen.

Da ich zum ersten Mal zu einem Gynäkologen in meiner neuen Heimat gehen würde, fragte ich meine niederländischen Freunde, ob sie mir eine Praxis empfehlen könnten: „Was? Wir gehen hier nicht zum Gynäkologen! Bloß wenn wir schwanger sind oder so… Geh einfach zum Hausarzt.“,  war ihre Antwort.

Ich war ziemlich überrascht. In Deutschland gehen wir bereits zwischen 14 und 16 Jahren das erste Mal zum Gynäkologen. Dabei ist die Wahl der geeigneten Praxis und des Gynäkologen ein wohldurchdachter Vorgang, bei dem man erst Familie und Freunde um Rat und Empfehlungen bittet, dann verschiedene Ärzte ausprobiert, den Ort, seine Arzthelferinnen und Ärzte kennenlernt, um letzten Endes zu entscheiden, ob man sich mit seiner Wahl wohlfühlt. Hat man sein „Match“ gefunden, statten wir diesem mindestens einmal im Jahr einen Besuch ab, um sicherzugehen, dass alles gesund ist. 

Als ich also hörte, dass ich keinen „Gynäkologen-Suchprozess“ starten musste und von nun an für jegliche Untersuchungen zum Hausarzt gehen würde, war ich etwas verblüfft. 

Aber gut, ich lebte nun in den Niederlanden und musste mich an die Kultur, einschließlich des Gesundheitssystems, anpassen. Ich mache also einen Termin beim Hausarzt (was übrigens auch gar nicht so einfach war, denn diese werden einem hier nach Postleitzahl zugeteilt).

Als ich die Praxis betrete, werde ich von der Arzthelferin begrüßt und sie bittet mich in Zimmer 3 auf den „Huisarts“ zu warten. Ich nutze die Wartezeit, um mich ein wenig umzuschauen und werde direkt etwas skeptisch; ich befinde mich in einem regulären Büro. Kein berühmter „Stuhl“ in Sicht, der darauf hinwies, dass der Arzt meinen Intimbereich professionell begutachten könnte.

Die Tür öffnet sich und herein tritt ein Mann, Altersklasse Joe Biden, und begrüßt mich mit einem kalten, festen Händedruck. Er beginnt mit dem üblichen Doktor-Smalltalk über mein Alter und Gewicht, meine Ernährung, meine Rauch- und Trinkgewohnheiten und reißt die gewöhnlichen Altherrenwitze über Deutschland, bevor er mich schließlich fragt, wofür ich denn da wäre.

Ich erkläre es ihm. Er sieht mich verwirrt an und sagt: „Oh, es geht um diesen Bereich Ihres Körpers? Also damit fühle ich mich nicht wohl! Mit solch privaten Angelegenheiten sollten Sie nicht zu mir kommen.“

Ich bin perplex und schäme mich auf einmal.

Er fragt, ob es noch etwas zu besprechen gäbe. Angst, dass meine nächste Frage ihm vielleicht einen Herzinfarkt verpassen könnte, taste ich mich vorsichtig an die Nachfrage für das Rezept meiner Verhütung.  „Aber sind Sie denn in einer Beziehung?“. Ich beantworte die Frage mit einem „Ja“, frage mich aber gleichzeitig, was das Eine denn mit dem Anderen zu tun habe? Glaubt er Frauen sollten keinen Sex haben ohne in einer festen Beziehung zu sein? Ob Männer wohl jemals beim Kondomkauf an der Kasse gefragt werden, ob sie in einer Beziehung seien?
Fragen, mit denen ich ihn hätte konfrontieren sollen, aber genau wie in einer hitzigen Diskussion: die besten Antworten fallen einem immer erst später ein.

Alles in allem verlasse ich den Arzt mit einem Gefühl von Scham. Eine Emotion, die ich noch nie mit einem Arztbesuch in Verbindung gebracht hatte.
Nach der Scham kam die Wut. Wut darüber, dass ein Mann die Macht hat, mir dieses Gefühl zu geben. Wut darüber, wie viele Mädchen und junge Frauen eine solche Erfahrung bei ihrem ersten Arztbesuch gehabt haben müssen. Wut darüber, wie diese jungen Frauen dann damit aufwachsen, Scham zu empfinden wenn es um die Gesundheit und die Bedürfnisse ihres Körpers geht.

Nach ein wenig Recherche fand ich heraus, dass meine Erfahrung als „Patient Shaming“ (also: Patienten Beschämung) bekannt ist. Dabei haben Studien ergeben, dass Frauen mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit von einem Arzt „beschämt“ werden. Nur 38% der Männer gaben an, sich aufgrund von Aussagen ihres Arztes schuldig oder beschämt zu fühlen. Dabei konnten sich 53% der Frauen an ein solches Verhalten erinnern. Die häufigsten Themen dabei waren Sex, Zahnhygiene und Gewicht.

Kein Arzt, kein Mann, absolut niemand sollte uns das Gefühl geben können, sich dafür schämen zu müssen eine Frau zu sein, die sich um Ihre Gesundheit kümmert, die Fragen über ihre Geschlechtsorgane hat, oder ein aktives Sexualleben führt (Ja, auch ohne feste Beziehung!).

Solltest du jemals „Female Patient Shaming“ erfahren müssen, zögere nicht eine Beschwerde einzureichen, den Arzt zu konfrontieren, eine negative Bewertung abzugeben oder du könntest auch einfach einen passiv-aggressiven Blogpost über deine Erfahrung schreiben?
📸: PINTEREST
Hier ist der Link für die englische Version 💕

Eine Antwort

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert